Euter sind keine Maschinen?

Mit hohem Vakuum scheinbar schneller, keinesfalls besser melken

Wann haben sie denn zuletzt Ihr Melkvakuum überprüfen lassen? Wissen Sie genau mit welchem Vakuum Sie zur Zeit melken? Leider wird es sehr viele Melker geben, die das so genau nicht sagen können.
Solange die Melkzeuge nicht abfallen, noch Milch kommt und die Molkerei keine "Mahnschreiben" wegen zu hohem Zellgehalt schickt, schenkt man dem Melkvakuum in der Regel sehr wenig Beachtung.
Noch immer wird bei Melkproblemen das Vakuum eher erhöht, als gesenkt. Sehr tief haben sich da wohl schlechte Erfahrungen aus früherer Zeit ins Gedächtnis eingegraben. In langen, hohen und viel zu kleinen Leitungen mit wenig Gefälle und teilweise sogar Steigungen, waren zu hohe Vakuumverluste das Hauptproblem. Gerade die besten Kühe hatten dann darunter zu leiden und bekamen Euterprobleme. Doch das ist heute zum größten Teil Vergangenheit.

Das Melkvakuum ist oft zu hoch

Wird man heute in Problembetriebe gerufen, dann ist das Melkvakuum sehr oft zu hoch. Sehr unterschiedliche Vorgaben und Empfehlungen verunsichern den Landwirt. Aus Angst hier Fehler zu machen, wird nichts geändert. Die Vakuumregelventile sind oft nur mit einigen Kletterkünsten zu erreichen und die dazugehörigen Vakuumuhren "schätzen" das Vakuum leider allzu oft nur ungenau. Eine zweite Vakuumuhr, mit der das Melkvakuum überprüft werden könnte ist nicht immer vorhanden aber unbedingt erforderlich. Regelventile müssen regelmäßig gereinigt werden, da sich sonst das Vakuum von selbst erhöhen kann. Lassen Sie sich erklären wie Ihr Regelventils funktioniert, wie oft es gereinigt werden muß und wo man das Vakuum einstellt.
Die Höhe des Melkvakuums hat einen entscheidenden Einfluss auf Ausmelkgrad, Melkgeschwindigkeit, Zitzenkondition und Eutergesundheit. Das Nennvakuum häufig zu ändern ist sicher falsch, doch es ist notwendig das Melkvakuum ständig zu kontrollieren und im Bedarfsfall auch zu korrigieren.
Ist das Vakuum zu niedrig, kann es zu Haftproblemen oder zu etwas geringeren Milchflüssen kommen. Doch fast immer haben Haftprobleme andere Ursachen. Falsche Zitzengummis, ungleichmäßige Melkbecherbelastung, unflexible Melkzeuge oder fehlende Stimulation sind nur einige Gründe, weshalb es zum Luftziehen der Melkbecher oder sogar zum Abfallen der Melkzeuge kommen kann. Bevor man hier am Regelventil dreht, sollten all diese Fehlerquellen ausgeschlossen werden.
Doch die Praxis sieht leider anders aus. Dauert das Melken zu lange, "schlürfen" Zitzengummis beim Melken oder hat man den Eindruck, daß die Euter nicht leer werden - immer wird das Vakuum nach oben korrigiert.
Die größte Gefahr dabei ist, daß man kurzfristig damit sogar eine "Verbesserung" bemerkt. Die Melkbecher haften besser, die Melkzeiten werden etwas kürzer und nach dem Abnehmen der Melkzeuge "kommt kaum noch Milch". Das die Milchleistung etwas sinkt, wird dann der Fütterung zugeschrieben und alle anderen Probleme kommen erst viel später.

Je höher das Melkvakuum, desto früher klettern die Melkbecher. Abschnürringe an der Zitzenbasis weisen darauf hin, daß die Zitzengummis zu lange den Bereich des Fürstenbergschen Venenrings verengt haben. Schwellungen in diesem Bereich können hier die schon enge Passage zwischen Euter und Zitzenzisterne vollkommen verschließen. D.h. es bleibt ein hohes Nachgemelk in der Euterzisterne, welches erst nach Belasten des Melkzeuges ermolken werden kann. Der Milchfluss wird langsam immer niedriger bis er ganz versiegt. Für die Zitzen bedeutet das eine längerer Zeit mechanischer Belastung. Vor allem wenn auch im Entlastungstakt an den Zitzen das komplette Leitungsvakuum anliegt, ist der Druck des sich schließenden Zitzengummischaftes sehr hoch. Dadurch werden die für die Infektionsabwehr sehr wichtigen inneren Auskleidungen des Strichkanals geschädigt. Es kommt zu Schließmuskelausstülpungen und Zitzenspitzenverhärtungen. Die Melkbarkeit verschlechtert sich und die Euter sind gegen das Eindringen von Erregern aus der Umwelt weniger gut geschützt. Da das alles sehr langsam geschieht, wird oft erst reagiert, wenn der Milchzellgehalt steigt oder vermehrt Euterentzündungen auftreten.
Allgemeingültige Vakuumempfehlungen lassen sich aufgrund der sehr unterschiedlichen Melktechnik und Melkstandausrüstung nicht geben. In Rohrmelkanlagen sind immer noch Höhe, Querschnitt, Länge und Gefälle sowie die Anzahl der Melkeinheiten die Haupteinflussgrößen. Um die richtige Vakuumhöhe bestimmen zu können sind Messungen im kurzen Milchschlauch während des Melkens notwendig. In den meisten modernen Melkständen kann mit einem Vakuum unter 40 kPa gemolken werden, höher als 42 kPa sollte das Nennvakuum bei einer tiefverlegten Milchleitung nicht sein. Im Anbindestall wird man ein Vakuum zwischen 42 und 46 kPa als Optimum finden. Wer damit nicht zurecht kommt, muß die Ursachen in der Melktechnik oder sogar in der Melkarbeit suchen.

Soll die Milch nur abwärts fließen ?

Verbreitet ist die Meinung, daß die Milch vom Sammelstück aus möglichst frei nach unten in die Milchleitung fließen soll. Vakuumschwankungen, die durch das Hochführen des langen Milchschlauches entstehen, werden uneingeschränkt als Vakuumverluste deklariert und entsprechend negativ beurteilt. Langjährige Erfahrungen in der Praxis haben jedoch gezeigt, daß der Ausmelkgrad der Euter und die Zitzenbeschaffenheit um so schlechter sind, je stabiler das Vakuum an den Zitzen ist.

Deshalb schadet es auf keinen Fall, wenn der lange Milchschlauch nach dem Sammelstück ca. 10 - 20 cm ansteigt. Die dadurch verursachten zyklischen Vakuumschwankungen verbessern die Bewegung des Melkzeuges und verringern den Druck des Zitzengummis auf die Zitzen. Zum Öffnen des Schließmuskel im Saugtakt steht noch genügend Vakuum zur Verfügung.
Für die Beurteilung der richtigen Vakuumhöhe muß deshalb auf jedenfall zwischen Melkvakuum im Saugtakt und zitzenendigem Vakuum im Entlastungstakt unterschieden werden. Wird hier ein Durchschnittsvakuum errechnet oder werden durchschnittliche Vakuumverluste zur Beurteilung von Melktechnik verwendet, können sehr schnell falsche Schlussfolgerungen zu stande kommen

Sehr deutlich wird das in Melkanlagen mit großvolumigen Sammelstücken (> 400 ml) oder kurzen Milchschläuchen mit 12 mm Innendurchmesser. Das große Luftvolumen stellt eine Vakuumreserve dar, die Vakuumschwankungen ausgleichen kann. Zitzenendige Vakuummessungen ergeben dann nahezu Nennvakuumbedingungen unter den Zitzen. Auch wenn die Melktechnikfirmen diese Art von Melkzeugen lange als "Spitzenmelktechnik mit geringsten Vakuumverlusten" verkauften und von Wissenschaftlern darin noch bestärkt wurden, daß der durchschnittliche Vakuumverlust ein Qualitätskriterium für Melkzeuge ist, hat uns die Praxis nun schon über Jahre das Gegenteil bewiesen.

Beim Entlasten das Vakuum verringern

Vor allem im Entlastungstakt hat ein sehr stabiles und hohes zitzenendiges Vakuum viele negative Folgen und verursacht vor allem langfristig viele Melk- und Eutergesundheitsprobleme.
Der Druck des Zitzengummischaftes auf die Zitzen resultiert aus dem Differenzdruck zwischen dem Vakuum unterhalb der Zitzen und den Unterdruck im Pulsraum. Da bei allen üblichen Pulsationen in der D-Phase im Pulsraum atmosphärischer Luftdruck herrscht, ist die Höhe des zitzenendigen Vakuum gleichbedeutend mit dem resultierende Druck auf die Zitzen. Nur der zum Falten des Zitzengummis notwenige Einfaltdruck reduziert diese Größe noch. Die Beschaffenheit des Zitzengummis beeinflusst dann die Druckverteilung auf die Zitzen.

Nur im Saugtakt wird gemolken

Nur im Saugtakt, wenn der Zitzengummischaft offen ist, wird ein genügend hohes und natürlich möglichst stabiles Vakuum im Bereich der Zitzenspitzen gebraucht. Zu Beginn der Saugphase muß der Schießmuskel geöffnet werden, um die in der Zisterne vorhandene Milch ermelken zu können. Weit verbreitet ist jedoch die Vorstellung, daß die Milch mit höherem Vakuum schneller aus dem Euter "gesaugt" wird und dadurch die Milchflüsse besser werden. Vergessen wird dabei, daß der größte Teil der Milch im Drüsenbereich des Euters, d.h. in den Milchbildungszellen (Alveolen) gespeichert ist. Diese Milch muß durch Kontraktion der die Alveolen umspannenden Muskelzellen erst freigesetzt werden und danach durch kleinste Milchgänge zur Zisterne ablaufen. Daß dieser Prozess möglichst optimal abläuft, ist eine ausreichende Menge Oxytozin im Blut notwendig. Streßhormone behindern nicht nur die Milchfreisetzung sondern auch den freien Ablauf der Milch in Zisterne.

Wird nun mit sehr hohem Vakuum gemolken und ist das Melkvakuum auch im Entlastungstakt sehr hoch, werden die Zitzen mechanisch stark belastet. Schmerzen bedeuten Stress und führen zu entsprechender Hormonausschüttung. D.h. wer die Milch mit hohem Vakuum aus dem Euter "saugen" will, sorgt eigentlich dafür, daß der aktive Prozess der Milchbereitstellung durch die Kuh ausbleibt oder frühzeitig abgebrochen wird.

Je besser die Milchfreisetzung funktioniert, desto höher wird der Euterinnendruck. Zum Öffnen des selben Schließmuskels ist dann ein geringeres Vakuum notwendig, um die gleichen oder sogar höhere Milchflüsse zu erzielen. Gleichzeitig wird unter solchen Bedingungen ein erheblich besserer Ausmelkgrad erreicht.
Wer also mit seiner Melkgeschwindigkeit nicht zufrieden ist, sollte prüfen oder prüfen lassen, in wie weit die Melkbereitschaft seiner Kühe vorhanden ist und bei Mängeln nach eventuellen Ursachen suchen. Eine Vakuumerhöhung ist nur in den seltensten Fällen angebracht.

Die Natur als Vorbild

Orientiert man sich in der Natur findet man die Bedingungen, die sich über Jahrtausende bewährt haben, das Überleben der Art zu sichern. Die Zitzen der Kühe sind dazu geeignet, daß Kälber daran saugen. Kälber können jedoch nicht unter Dauervakuum saugen, weil sie auch schlucken müssen. Warum also sollten wir dann mit gleichbleibend hohem Vakuum Melken? Es gibt Melktechnik, mit der versucht wird, die natürlichen Vakuumbedingungen an den Zitzen zu erzeugen. Dazu wird das Vakuum im Entlastungstakt teilweise oder sogar ganz abgesenkt (BIO-MILKER, System Happel). Leider hat sich diese, den normalen Melkzeugen vom Prinzip her durchaus überlegene Melktechnik noch nicht so verbreitet, wie man es aufgrund der in der Regel sehr überzeugenden Ergebnisse hinsichtlich Ausmelkgrad, Melkgeschwindigkeit und Eutergesundheit erwarten könnte. Weil solche Melkzeuge komplizierter und auch anfälliger sind, bedarf es schon einiger Pflege und etwas mehr Sorgfalt beim Einsatz, um hier nicht Misserfolg zu ernten.

Doch auch mit "einfacherer" Melktechnik ist es möglich, tiergerecht und zitzenschonend zu melken, wenn man nur einige Dinge beachtet. Dabei eignet sich der Gleichtakt noch besser als der Wechseltakt dazu, gewollte zyklische Vakuumschwankungen unter den Zitzen zu provozieren.
Grundsätzlich muß jeder für seine Melkanlage das ideale Vakuum finden. Am leichtesten erreicht man das durch langsames, schrittweises senken des Anlagenvakuums. Um hierbei nich zu früh an Grenzen zu kommen (Haftprobleme) müssen natürlich vorher grundlegende Fehler in der Melkarbeit (Eutervorbereitung) oder unpassende Melktechnikkomponenten (z.B. Zitzengummis) ausgeschlossen werden.

Checkliste: Richtig melken (2) Melkvakuum

  • Vakuumhöhe täglich kontrollieren
  • Vakuumregelventile regelmäßig reinigen, müssen erreichbar sein
  • Zweite Vakuumuhr zur Kontrolle an gut sichtbarer Stelle einbauen
  • Möglichst niedriges Melkvakuum einstellen, Kriterien sind:
    • keine Haftprobleme
    • kein frühzeitiges Klettern der Melkbecher
    • guter Ausmelkgrad, Euter sind weich, Falten am Euterspiegel
    • normale Melkzeiten
    • hohe Milchflüsse
    • Zitzengummis bewegen sich
  • Durch Messung im kurzen Milchschlauch während des Melkens das resultierende Vakuum unterhalb den Zitzen ermitteln
  • Zyklische Vakuumschwankungen durch anheben des Milchschlauches unterstützen
  • Ursachen für unkontrollierte Vakuumschwankungen (z.B. alte Indikator) und hohe Vakuumverluste (enge Milchschläuche) suchen und beheben